Webrelaunch 2020

Materialien für einen zeitgemäßen Mathematikunterricht (2. Karlsruher Didaktik-Workshop, 24.-25.02.2023)

Freitag, 24.02., 11:15 Uhr:
Norbert Henze: Bernoulli-Kette, Binomialkoeffizienten und die Binomialverteilung – Konzepte oder Rezepte?
Im Vortrag geht es um Altbekanntes, aber in den vergangenen Jahren offenbar in Vergessenheit Geratenes, nämlich um Konzepte und nachhaltige Erkenntnis. Als Beispiel dienen die zentralen Themen unabhängige Bernoulli-Versuche, Binomialkoeffizienten und Binomialverteilung. Ich plädiere dafür, das Verhältnis von Konzepten und Rezepten zu überdenken und Konzepten wieder breiteren Raum zu geben. Hierdurch kann schematisches Rechnen häufig durch kurzes Nachdenken ersetzt werden. Für die angesprochenen Themen spielen dabei binäre Tupel eine Schlüsselrolle.

Freitag, 24.02., 14:00 Uhr:
Meike Akveld: Knotted or not - That's the question
Ist es verknüpft? Ist es blos verschlungen? Ist es möglicherweise gar kein Knoten? Gelegentlich genügen Papier und Bleistift nicht zur Beantwortung solcher Fragen, auch ein Taschenrechner oder Computer nicht; denn es muss richtig Hand angelegt werden mit einem echten real existierenden Stück Schnur!
Die Knotentheorie ist ein Thema der modernen Mathematik, das mit relativ bescheidenem Vorwissen von Lernenden schnell verstanden werden kann. In diesem Workshop zeigen wir einen kleinen Ausschnitt aus diesem riesigen Gebiet der Knotentheorie, der im Gymnasium bearbeitet werden kann. Insbesondere gehen wir vertieft ein auf die Idee einer Variante.

Freitag, 24.02., 15:30 Uhr:
Peter Herbert Maier: Räumliche Intelligenz fördern - Produktive Aufgaben mit dem effekt-system
Empirische Studien belegen, dass der Einsatz von Körpermodellen im Geometrieunterricht für eine effiziente Schulung der räumlichen Intelligenz von grundlegender Bedeutung ist. Auf dieser Basis wurde das effekt-system, ein Baukastensystem für die ebene und räumliche Geometrie für die Hand der Schüler*innen entwickelt. Es funktioniert nach einem einfachen Prinzip, indem Flächenelemente mit Gummiringen miteinander verbunden werden. Erfahrungsgemäß sind Schüler*innen häufig von der ästhetischen Wirkung der transparenten Körper fasziniert, wodurch sich ein motivierender Zugang zur Geometrie eröffnet. Aktuell wird eine frei zugängliche Homepage mit umfangreichen Arbeitsmaterialien und Videotutorials für interessierte Lehrkräfte und Schüler*innen entwickelt.
Im Vortrag werden typische Einsatzmöglichkeiten des effekt-systems wie GEO-Erkundungsexperimente zum Entdecken und Untersuchen geometrischer Figuren vorgestellt. Diese Experimente sind von erstrangiger Bedeutung zur Umsetzung eines konstruktivistischen Lernkonzepts und bieten Schüler*innen die Chance auf der Stufe des eigenen Könnens zu arbeiten. Weitere Einsatzschwerpunkte sind das einfache und praxisgerechte Arbeiten mit Netzen (Abwicklungen) und das Unterstützen stereometrischer Berechnungen auf einer enaktiven Basis. Zu diesen Einsatzmöglichkeiten werden begleitend Arbeitsmaterialien der effekt-Homepage vorgestellt.

Freitag, 24.02., 17:00 Uhr:
Manfred Pietsch: Papierfalten als mathematische Aktivität
Kann man durch Falten von Papier mathematische Erfahrungen machen oder sogar Einsichten gewinnen? Und das in einem Zeitalter digitaler Werkzeuge im Mathematikunterricht? Anhand von Beispielen aus dem Geometrieunterricht der Sekundarstufe wird in diesem Workshop aufgezeigt, dass im Falten von Papier unerwartet viel Mathematik verborgen ist, die Schülerinnen und Schüler „handelnd begreifen“ können. Faltexperimente regen zu vertiefenden Überlegungen an; häufig können sich aus der Struktur des gefalteten Papiers bereits Hinweise für eine Begründung des überraschenden Sachverhalts ergeben.
Durch Vorstellen weiterführender Beispiele, auch jenseits der Geometrie, wird die mathematische Reichhaltigkeit von Faltprozessen angedeutet. Alle Teilnehmer sind eingeladen, an diesen konkreten Erfahrungen durch eigenes Mitfalten teilzuhaben.

Samstag, 25.02., 9:30 Uhr:
Stefan Pohlkamp: Ist Modellieren politisch? Mathematik hinter Wahlen
Die aktuelle Debatte um ein neues Wahlrecht rückt ein Thema in den Vordergrund, an dem sich einerseits par excellence die allgemeinbildende und politische Dimension mathematischer Modellierung aufzeigen lässt, bei dem andererseits aber deutlich wird, wie politische Entscheidungen auf mathematische Expertise angewiesen sind. Dabei lassen sich auch die normative Modellierung, bei der Mathematik genutzt wird, um Wirklichkeit zu gestalten statt nur abzubilden, und ihr Bildungspotenzial charakterisieren.
In dem Vortrag wird ein Plädoyer gehalten, normative Modellierung verstärkt bei modellierungsdidaktischen Diskussionen und bei Unterrichtsplanungen in den Blick zu nehmen, und eine stoffdidaktische Analyse der Mathematik hinter (Verhältnis)Wahlen angeboten.

Samstag, 25.02., 11:00 Uhr:
Wolfgang Riemer: Wahrscheinlichkeit entsteht wenn aus Erfahrung Erwartung wird
Statistische Experimente im Spannungsfeld zwischen Modell und Wirklichkeit
Beschreibende Statistik zuerst, dann Wahrscheinlichkeitsrechnung und beurteilende Statistik als „krönender“ Abschluss: Mit einem solchen Aufbau kopieren unsere Curricula seit über 50 Jahren die Hochschulsystematik. Im Zentrum schulischer Stochastik stehen aber neugierige Kinder mit ihren Alltagsintuitionen und ihrem Interesse an spannenden Fragen. Diese gilt es in der Schule hervorzuholen und zu beantworten. Systematik und formale Exaktheit stehen am Ende, nicht am Anfang. Stochastik „tickt“ in der Schule anders als in der Hochschule!
Und wenn man den Vortragstitel wirklich ernst nimmt, ist es ist gar nicht so schwer, Wahrscheinlichkeitsrechnung mit beschreibender und beurteilender Statistik so zu verzahnen, dass Schülerinnen und Schüler am Ende der Schulzeit Signifikanztests nicht nur durchrechnen können, sondern auch erlebt haben, was ihre Ergebnisse bedeuten – und was eben nicht. Der Experimentalvortrag hat für Lehrerinnen und Lehrer beider Sekundarstufen einiges zu bieten. Funktionierende Unterrichtspraxis steht im Zentrum, reflektierte Theorie dahinter.

Samstag, 25.02., 13:30 Uhr:
Erwin Gerstner: Weg vom Kalkül - Wege in den Kalkül
Unter der Leitfrage "Wie kann Material beim Aufbau der algebraischen Symbolsprache und insbesondere beim Aufbau erster Kalkülhandlungen helfen und inwiefern steht es denselben auch im Weg?" werden zwei mehrfach in 7. Klassen durchgeführte Unterrichtsreihen zur Einführung in die Algebra vorgestellt. Beide nutzen intensiv Material, gehen aber mit ganz unterschiedlichen Denkhandlungen einher. Ein Zugang nutzt die Algebra als Generalisierungswerkzeug und betont zu Anfang das Konzeptpaar Term/Unbestimmte. Erste Kalkülhandlungen sind hier Termumformungen zum Nachweis der Gleichwertigkeit. Der zweite Zugang betont zu Anfang das Konzeptpaar Gleichung/Unbekannte. Aus Problemsituationen heraus werden Gleichungen aufgestellt und erste Kalkülhandlungen bestehen im Aufbau der Methode Äquivalenzumformen. Schwerpunkt des Vortrags wird sein, vergleichend aufzuzeigen, welche spezifischen Chancen und Untiefen sich bei den jeweiligen Reihen auftun. Welche Hilfen im Lernprozess kann der Materialeinsatz bewirken und wo kann der Materialeinsatz auch dem Aufbau eines symbolischen Zahlkonzepts im Weg stehen?

Samstag, 25.02., 15:00 Uhr:
Katja Lengnink: (Wie) Kann Mathematische Bildung zur algorithmischen Mündigkeit beitragen?
Algorithmen und algorithmische Entscheidungssysteme werden in unserem Alltag in immer stärkeren Maße zur Entscheidungsunterstützung und in öffentlichen Argumentationen eingesetzt. Im Vortrag wird diskutiert, welchen Beitrag mathematische Bildungsprozesse zu einem reflektierten und mündigen Umgang mit solchen KI-gestützten Systemen leisten können. Dies wird an unterrichtspraktischen Materialien aus einem Seminar für Lehramtsstudierende illustriert.