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Zahlentheorie II

Zahlentheorie


Die Zahlentheorie, laut Gauß die Königin der Mathematik, beschäftigt sich mit den Eigenschaften der ganzen Zahlen. Oft ist es hierbei so, dass die Fragen sehr einfach zu formulieren, aber sehr schwer zu lösen sind. Mittlerweile gibt es natürlich auch sehr viele Fragen die sich nicht ohne Vorkenntnisse vermitteln lassen. Oft profitiert man in der Zahlentheorie von der Wechselwirkung mit anderen mathematischen Disziplinen. Typische Fragen sind:

1. Wie viele Primzahlen unterhalb einer gegebenen Zahl gibt es?

2. Welche Zahlen lassen sich in der Form x^2+y^2 (mit natürlichen Zahlen x und  y) schreiben?

3. Wie viele Typen von quadratischen Formen ax^2+2bxy + cy^2 mit ganzen Zahlen a,b,c und gegebener Diskriminante b^2-ac gibt es?

Algebraische Zahlentheorie

Diese und ähnliche Fragen haben dazu geführt, dass man sich mit ganzen algebraischen Zahlen beschäftigt. Das sind komplexe Zahlen, die Nullstellen eines normierten Polynoms mit ganzen Koeffizienten sind. Um Nullstellen eines rationalen Polynoms f zu untersuchen, wird man oft seinen Zerfällungskörper zu Rate ziehen. Das ist der kleinste Teilkörper K der komplexen Zahlen, der alle komplexen Nullstellen von f enthält. Er hat endliche Dimension n über dem Körper der rationalen Zahlen, und die Menge aller ganzen algebraischen Zahlen darin bildet einen Ring {\cal O}, der ähnliche Eigenschaften hat wie zum Beispiel der Ring der ganzen (rationalen) Zahlen. Nur hapert es zumeist an der eindeutigen Primfaktorzerlegung, ein "Defekt", der durch die so genannte Klassengruppe erklärt wird. In einem wichtigen Spezialfall ist die Größe der (stets endlichen) Klassengruppe die Antwort auf Frage 3. Ein wichtiges Hilfsmittel ist die Möglichkeit, K in verschiedene Körper einzubetten, die gutartige analytische Eigenschaften haben, insbesondere eine lokalkompakte Topologie tragen. Oft kann man auf diese Art Phänomene trennen, die von verschiedenen Primzahlen herkommen, da es zu jedem Primideal eine solche "Komplettierung" gibt.

Geometrie der Zahlen

Der Ring {\cal O} kann auf natürliche Weise als diskrete Untergruppe eines n-dimensionalen euklidischen Vektorraums aufgefasst werden. Ein sehr bekanntes Beispiel hierfür ist \mathbb Z[{\rm i}], der Ring der ganzen Gaußschen Zahlen, ein Gitter in der komplexen Zahlenebene. Die genaue Untersuchung dieser geometrischen Situation impliziert zum Beispiel die eben erwähnte Endlichkeit der Klassengruppe. Auch eine Antwort auf Frage 2 kann mit Mitteln der Geometrie der Zahlen gewonnen werden. Außerdem erhält man durch Verallgemeinerung dieses Prozesses interessante diskrete Untergruppen von Liegruppen, die in der Differentialgeometrie eine wichtige Rolle spielen. Gruppentheoretische Eigenschaften, die arithmetische Rückschlüsse zulassen, können hier geometrisch gewonnen werden. Umgekehrt erhält man aus arithmetischen Eigenschaften wieder geometrische Informationen, die im Allgemeinen nicht anderweitig zugänglich sind.

Analytische Zahlentheorie

Dem Ring {\cal O} kann seine Dedekindsche Zetafunktion \zeta_K zugeordnet werden. Diese ist zunächst eine erzeugende Funktion zur Kodierung der Anzahl der Ideale in {\cal O} von gegebenem Index. Im Spezialfall der üblichen ganzen Zahlen erhalten wir die Riemannsche Zetafunktion. Wie diese, so lässt sich auch \zeta_K meromorph auf die komplexe Ebene fortsetzen, mit einem einzigen Pol bei s=1. Analytische Eigenschaften von \zeta_K spiegeln dann arithmetische Eigenschaften von {\cal O} wider. Die Antwort auf Frage 1 gewann man im 19. Jahrhundert mithilfe der Riemannschen Zetafunktion, und die Riemannsche Vermutung (über Nullstellen von \zeta_K) impliziert bestmögliche Fehlerabschätzungen. Eine neuere Variante ist die Theorie der p-adischen L-Reihen, die sich teilweise besser auf andere Situationen übertragen lässt als die klassische Theorie. Viele Probleme der Zahlentheorie führen auch zu anderen analytischen Funktionen, sogenannten Modulformen. Jeder Modulform kann wiederum eine L-Reihe zugeordnet werden, deren analytische Eigenschaften man gut im Griff hat. Dies wird durch die sogenannten automorphen Formen verallgemeinert.

Arithmetische Geometrie

Hier benutzt man Methoden aus der algebraischen Geometrie, um Systeme von Polynomgleichungen mit Koeffizienten in {\cal O} zu lösen. Neben rein algebraischen Methoden gibt es hier auch wieder die Möglichkeit, die Komplettierungen von K zu verwenden (Lokal-Global-Prinzipien). Außerdem kann man jedem gutartigen System von Polynomgleichungen eine L-Reihe zuordnen, die in einer "rechten Halbebene" konvergiert. Man hofft, dass alle diese "geometrischen" L-Reihen zugleich "automorphe" L-Reihen sind (Langlands-Programm), denn dann hätte man wieder gute Möglichkeiten, arithmetische Rückschlüsse aus ihrem analytischen Verhalten zu ziehen. Dies geschah zum Beispiel bei Wiles' Beweis von Fermats letztem Satz. Auch viele der außermathematischen Anwendungsgebiete der Zahlentheorie (z.B. Kryptografie, Codierungstheorie) sind im Bereich der arithmetischen Geometrie angesiedelt.