Webrelaunch 2020

Forschungsgebiete

Direkte und Inverse Streuprobleme

Arbeitsgruppe Inverse Probleme
Prof. Dr. A. Kirsch, Dr. T. Arens, PD Dr. F. Hettlich

Streuprobleme

Wellenphänomene treten in verschiedenen Formen auf, etwa als akustische Wellen bei jeder Geräuschquelle, als elektromagnetische Wellen in der Nachrichtenübertragung oder als elastische Wellen bei der Ausbreitung von Erdbebenwellen. Typisch für alle Wellen ist, dass sie an Medien, den Streukörpern, gestreut, absorbiert und/oder transmittiert werden.

In der mathematischen Modellierung treten partielle Differentialgleichungen auf, z.B. die Wellengleichung
U_{tt}(x,t)= c\,\Delta U(x,t),
mit Ortsvariable x und Zeitvariable t''. Eine ebene monochromatische Welle mit Frequenz \omega>0 und Einfallsrichtung \hat{\theta} hat die Form
 U^{ein}(x,t;\hat{\theta})\ =\cos(kx\cdot\hat{\theta}-\omega t)\ =\ \mathrm{Re} e^{i(kx\cdot\hat{\theta}-\omega t)}
wobei k=\omega/c die Wellenzahl und c>0 die Geschwindigkeit im Medium bezeichnet.

Die Streuung von U^{ein} führt zum gestreuten Feld U^s=U^s(x,t;\vartheta) und dem Gesamtfeld U=U^{ein}+U^s als Überlagerung von einfallendem und gestreutem Feld. Ist der Streukörper zeitlich konstant, so gilt
 U^s(x,t;\hat{\theta})\ =\ \mathrm{Re}\left[u^s(x;\hat{\theta})\,e^{-i\omega t}\right],\quad
U(x,t;\hat{\theta})\ =\ \mathrm{Re}\left[u(x;\head{\theta})\,e^{-i\omega t}\right],
wobei u^s und u außerhalb des Streukörpers der reduzierten Wellengleichung oder Helmholtzgleichung \Delta u\ +\ k^2u\ =\ 0 genügen. Für beschränkte Streukörper hat das gestreute Feld in großer Entfernung vom Streukörper die Form
 \displaystyle u^s(x;\hat{\theta})\ \approx\ \frac{\exp(ikr)}{4\pi\,r}\,u^\infty(\hat{x};\hat{\theta})\,.
Hier sind r=|x| und \hat{\theta}=x/|x| die Polarkoordinaten von x.


Bild von zwei FernfeldernIm Plot sind Höhenlinien von Fernfeldern u^\infty_1 und u^\infty_2 gegen die Winkel der Richtungen \hat{\theta} und \hat{x} zwischen 0^o und 360^o aufgetragen (für zwei zweidimensionale Beispiele).

Zu welchen Streukörpern gehören diese Fernfelder?

  • Das direkte Streuproblem besteht im Nachweis der Existenz, Eindeutigkeit, Stabiltät und in der Berechnung (und der graphischen Darstellung) der Felder, wenn der Streukörper bekannt ist.
  • Das inverse Streuproblem besteht in der Identifizierung des Streukörpers, wenn das Fernfeld u^\infty(\hx,\hat{\theta}) für Winkel \hat{x},\hat{\theta} aus Messdaten bekannt ist (d.h. wenn diese Plots gegeben sind).

Forschung in der Arbeitsgruppe

Die direkten Probleme lassen sich mit Hilfe von Fundamentallösungen auf Integralgleichungen transformieren, die sowohl für theoretische Fragestellungen wie Existenz und Stabilität als auch zur numerischen Approximation genutzt werden. Aktuell werden in der Arbeitsgruppe Algorithmen zur numerischen Lösung dreidimensionaler Streuprobleme für zweidimensionale periodische Gitter entwickelt und untersucht.

Die schnelle und effiziente Lösung der direkten Probleme ist entscheidend für den Einsatz von iterativen Methoden (siehe unten) zur Lösung zugehöriger inverser Probleme. Außerdem liefern uns die direkten Löser simulierte Daten, an denen verschiedene Inversionsmethoden getestet und miteinander verglichen werden können. Der Einfluss von Parametern, die die Form oder das Material beschreiben, kann so systematisch studiert werden.

Iterative Verfahren: Schon bei Streuung einer Welle an einem Streukörper D lässt sich das inverse Problem betrachten. Es besteht letztendlich im Lösen einer nichtlinearen, schlecht gestellten Gleichung der Form
{\cal F}(\partial D)=u_\infty(.,\hat{\theta}).
Iterative Newton-ähnliche Verfahren wie etwa
 \big({({\cal F}'[D_j])^*}}\,{\cal F}'[D_j] +\alpha I\big)}h\ =\
  ({\cal F}'[D_j])^*} \big(u_\infty(.,\hat\theta}) - {\cal F}(D_j)\big)
erfordern dabei die Gebietsableitung {\cal F}' des Operators. Eine Regularisierung ist nötig, da ansonsten die linearisierte Gleichung nicht numerisch stabil invertierbar ist. Bei rechtzeitigem Abbruch der Iteration sind so Rekonstruktionen aus Fernfelddaten möglich. Das Bild zeigt die beste, eine durchschnittliche und die schlechteste Rekonstruktion aus 100 Versuchen mit 10\%, zufälligem Rauschen in den Daten zu k=1 bei Verwendung eines modifizierten Regularisierungsverfahrens, dass auch die zweite Ableitung berücksichtigt.

center

Die Faktorisierungsmethode: Iterative Verfahren sind universell einsetzbar und liefern nach wie vor die besten Rekonstruktionsergebnisse. Allerdings sind sie aufwendig (in jedem Schritt muss ein Vorwärtsproblem gelöst werden) und weisen höchstens lokale Konvergenzeigenschaften auf. Aus diesen Gründen sind in der letzten Zeit andere Klassen von Verfahren entwickelt worden, die diese Nachteile vermeiden und von denen verschiedene Formen von Faktorisierungsmethoden in der Arbeitsgruppe entwickelt worden sind.

Das Fernfeld u^\infty=u^\infty(\hat{x};\hat{\theta}) liefert den Kern des Fernfeldoperators F:L^2(S^2)\to L^2(S^2), definiert durch
 (Fg)(\hat{x})\ =\ \int_{S^2}u^\infty(\hat{x};\hat{\theta})\,g(\hat{\theta})\,do(\hat{\theta})\,,\quad
\hat{x}\in S^2\,,
mit der Einheissphäre S^2 im \mathbb{R}^3. Der Fernfeldoperator F ist kompakt und für nicht-absorbierende Streukörper normal (d.h. F^\ast F=F\,F^\ast) und kann faktorisiert werden in der Form
 F\ =\ A^\ast T\,A
mit gewissen Operatoren A und T, wobei A kompakt ist und T einer Garding-Ungleichung genügt. Dies wird wesentlich ausgenutzt zur Darstellung der charakteristischen Funktion \chi_D des Gebietes D in der Form
 \chi_D(z)\ =\ \operatorname{sign}\left[\sum_{j=1}^\infty
\frac{|(\psi_j,\phi_z)_{L^2(S^2)}|^2}{|\lambda_j|}\right]^{-1},
wobei \phi_z(\hat{x})=\exp(-ik\,\hat{x}\cdot z), \hat{x}\in S^2, und \{\lambda_j,\psi_j:j\in\mathbb{N}\} ein Spektralsystem von F ist.

Folgende Rekonstruktionen wurden mit der Faktorisierungsmethode aus u^\infty-Bildern gewonnen: (Das Bild mit den 2 Objekten gehört zum unteren der beiden oben gezeigten u^\infty-Plots.)

rekonstruktionen.png

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Fakultät für Mathematik,
Institut für Angewandte und Numerische Mathematik,
Arbeitsgruppe Inverse Probleme