Worum geht es in den Vorlesungen Räumliche Stochastik und Stochastische Geometrie?
Aus den Grundvorlesungen zur Stochastik sind vor allem reelle Zufallsvariablen (zufällige Punkte in ) und Zufallsvektoren (zufällige Punkte in ) bekannt. Es stellt sich natürlicherweise die Frage, ob man auch zufällige Versionen von anderen geometrischen Objekten und Vorgängen betrachten kann, wie etwa zufällige Geraden, zufällige Sehnen in einem Kreis, zufällige konvexe Mengen, zufällige Punktmuster, zufällige Bewegungen von Körpern u.s.w., oder auch komplexere geometrische Strukturen.
Zufällige geometrische Objekte sind ein mächtiges Werkzeug für die Modellierung verschiedenster komplexer Strukturen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Sie sind insbesondere immer dann nützlich, wenn die genaue Gestalt oder Geometrie unbekannt ist oder natürlichen Schwankungen unterliegt. Es ist dann vor allem interessant, das 'typische' Verhalten solcher Strukturen zu verstehen oder ihre geometrischen Eigenschaften 'im Mittel' zu erkennen.
Typische Fragestellungen aus der Praxis sind etwa die Folgenden: Wieviel Holz befindet sich auf einem Hektar Wald? Wie groß ist die Oberfläche eines Katalysators? Welchen Volumenanteil hat das Metall in einem Metallschaum und wie kann man dessen Gewicht minimieren, ohne die Festigkeit des Werkstoffs zu verringern? Komplexe Strukturen wie Schäume, Zellgewebe, Boden- und Gesteinsschichten oder die Faserstruktur von Papieren sind oft makroskopisch sehr homogen, weisen aber starke lokale Variationen in der Feinstruktur auf. Probabilistische räumliche Modelle sind deshalb ein natürlicher Ansatz, um solche Strukturen zu beschreiben und zu analysieren.
In den Vorlesungen Räumliche Stochastik und Stochastische Geometrie werden verschiedene grundlegende zufällige Modelle behandelt, mit denen einfache und komplexere geometrische Strukturen erzeugt werden können. Oftmals bilden dabei Punktprozesse, die als zufällige lokalendliche Punktmengen in einem Grundraum angesehen werden können, die Grundlage solcher Modelle. Abbildung 1 zeigt eine Realisierung eines sogenannten Booleschen Modells, bei dem jedem Punkt des Grundprozesses eine zufällige kompakte Menge zugeordnet wird (hier eine Kreisscheibe mit zufälligem Radius). In der zweiten Abbildung ist die Realisierung eines Voronoi-Mosaiks zu sehen, bei dem der Grundraum in kompakte Mengen, sogenannte Zellen, zerlegt wird. Dabei ist jede Zelle zu einem Punkt des Grundprozesses assoziiert und beinhaltet genau die Punkte, deren Abstand zum assoziierten Punkt kleiner ist als zu jedem anderen des Grundprozesses.
Ein klassisches Beispiel für geometrische Modellierung (und die dabei auftretenden Schwierigkeiten) ist das Bertrand-Paradoxon. Hier wird eine zufällige Sehne im Einheitskreis betrachtet, d.h., der Schnitt einer zufälligen Geraden mit der Einheitskreisscheibe, und nach der Wahrscheinlichkeit gefragt, dass diese mindestens die Länge besitzt. Doch was genau ist eine zufällige Sehne bzw. wie kann diese modelliert (und simuliert) werden? Wählt man die Sehne etwa, indem man deren Mittelpunkt zufällig und gleichverteilt in der Kreisscheibe festlegt, so ist die Wahrscheinlichkeit 1/4, während die Wahl ihrer Endpunkte gleichverteilt (und unabhängig) auf dem Kreisrand die Wahrscheinlichkeit 1/3 liefert. Welche Forderungen an die Verteilung der zufälligen Sehne sind sinnvoll und was sind die resultierenden Eigenschaften des Modells? Die dritte und vierte Abbildung zeigen jeweils 500 Realisierungen einer zufälligen Sehne nach den zuvor beschriebenen Modellen. Man beachte die Unterschiede.
Die Vorlesung Räumliche Stochastik ist grundlegender und beschäftigt sich ausführlich mit dem Konzept der zufälligen abgeschlossenen Mengen, mit Punktprozessen und zufälligen Maßen und deren Eigenschaften, sowie mit zufälligen Funktionen (zufällige Felder). Bei Letzteren sind vor allem solche von Interesse, bei denen jeder Funktionswert normalverteilt ist (Gaußsche Felder). Gibt es solche zufälligen Funktionen immer und wie können diese charakterisiert werden?
In der Vorlesung Stochastische Geometrie werden u.a. zufällige Ebenen und zufällig bewegte Körper diskutiert. Punktprozesse und zufällige abgeschlossenen Mengen werden benutzt, um komplexere geometrische Strukturen zu generieren, wie etwa Keim-Korn-Modelle (für die das Boolesche Modell ein Beispiel ist) und zufällige Mosaike. Außerdem stehen die geometrischen Eigenschaften solcher Modelle im Fokus, wofür geometrische Funktionale (insbesondere sogenannte innere Volumina) eingeführt und verwendet werden. Ein nützliches Hilfsmittel sind dabei Formeln der Integralgeometrie.
Unregelmäßig werden außerdem noch weitere Vorlesungen zu verwandten Themen angeboten, wie etwa Der Poissonprozess, Perkolation und Konvexe Geometrie.